Sunday, 28th April 2024
28 April 2024

Neue Verhaftungswelle in der Türkei: Erdogan macht Jagd auf türkische Soldaten

Nach dem Putschversuch 2016 macht Erdogan Jagd auf angebliche Mitglieder der Gülen-Bewegung. (Quelle: AP/dpa)

Eine neue Verhaftungswelle erschüttert die Türkei: Nach dem Putschversuch sucht die Erdogan-Regierung weiter nach angeblichen Mitverschwörern. Das Menschenrechtsgericht erteilt dem Land derweil eine Rüge.

Fast drei Jahre nach dem Putschversuch in der Türkei sucht die Regierung weiter intensiv nach angeblichen Mitverschwörern. Allein am Dienstag schrieben Staatsanwälte wieder mindestens 295 Fahndungsbefehle aus, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Bis zum späten Nachmittag hatten Sicherheitskräfte den Berichten zufolge mindestens 66 Menschen festgenommen. Den Gesuchten werden Verbindungen zur Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen. Den macht die Regierung für den Putschversuch von 2016 und die „jahrelange Infiltrierung“ von Armee, Polizei, Justiz und Ministerien verantwortlich.

Unter den Verdächtigen sind den Berichten zufolge wieder viele Soldaten. Die Regierung konzentriert sich bei ihren Ermittlungen stark auf die Sicherheitskräfte. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte im April bei einer Ansprache gesagt, dass unter den derzeit Inhaftierten mehr als 4.400 Polizisten seien. Insgesamt seien rund 31.000 Mitarbeiter der Polizei ihres Amtes enthoben worden, außerdem mehr als 15.000 Angehörige des Militärs.

Insgesamt sind seit dem Putschversuch nach Regierungsangaben vom März rund 500.000 Menschen wegen angeblicher Gülen-Verbindungen festgenommen worden – rund 30.000 sollen weiter in Haft sein. Allein in der vergangenen Woche waren Anadolu-Berichten zufolge 282 Menschen festgenommen worden. In der Woche davor waren es 200 Menschen.

Menschenrechtsgericht kritisiert Haftstrafe für Demirtas

Wegen Terrorvorwürfen sitzen allerdings noch andere Politiker und Aktivisten aktuell in türkischen Gefängnissen. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) der Türkei vorgeworfen, das Recht auf Meinungsfreiheit des inhaftierten Kurdenpolitikers Selahattin Demirtas verletzt zu haben. Das Straßburger Gericht kam am Dienstag zu dem Schluss, dass die Äußerungen des früheren Vorsitzenden der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) in einer Fernsehsendung im Jahr 2005 keine Straftat gewesen seien, die eine Verurteilung zu einer Haftstrafe rechtfertigten.

Seine Äußerungen könnten weder als Aufruf zur Gewalt, zum bewaffneten Widerstand oder zum Aufstand betrachtet werden noch als Hassrede, urteilte das Gericht. Demirtas hatte 2005 in seiner damaligen Funktion als Vorsitzender der Menschenrechtsvereinigung die Regierung aufgerufen, die mögliche Rolle des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan bei der Lösung der Kurdenfrage zu berücksichtigen und seine Haftbedingungen zu verbessern.

Demirtas war daraufhin wegen „Propaganda für eine Terrororganisation“ angeklagt worden. Der EGMR erklärte nun, die Anklage habe nicht einem „zwingenden gesellschaftlichen Bedürfnis“ entsprochen, sei „nicht verhältnismäßig“ und „nicht notwendig in einer demokratischen Gesellschaft“ gewesen. Das Gericht verurteilte die Türkei zur Zahlung von 2500 Euro Schadenersatz an Demirtas und zur Übernahme von 1.000 Euro Gerichtskosten.

Das Gericht hatte im vergangenen November die umgehende Freilassung von Demirtas gefordert, da seine mehrjährige Untersuchungshaft politisch motiviert sei und das Ziel habe, „den Pluralismus zu ersticken und die Freiheit der politischen Debatte zu begrenzen“.  Erdogan erklärte aber, die Türkei sei durch den Beschluss nicht gebunden. Ein türkisches Gericht lehnte daraufhin eine Freilassung ab.

Demirtas sitzt seit November 2016 in Untersuchungshaft. Im September 2018 wurde der HDP-Politiker in erster Instanz wegen „Terrorpropaganda“ zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Es laufen noch eine ganze Reihe weiterer Verfahren gegen ihn. Das Hauptverfahren wird am kommenden Dienstag fortgesetzt. Seine Partei sieht die Prozesse als Versuch der Regierung, einen unliebsamen Konkurrenten zum Schweigen zu bringen.

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