Thursday, 28th March 2024
28 März 2024

Warum hören viele Mütter früh auf zu stillen?

Muttermilch ist die beste Nahrung für neugeborene Babys. Deswegen geben 90 Prozent der Mütter ihrem Kind kurz nach der Geburt die Brust. Wer das nicht tut oder früh aufhört, steht unter Rechtfertigungsdruck. 0

Was viele Frauen in deutschen Krankenhäusern erleben, nachdem sie ein Baby auf die Welt gebracht haben, hat Antonia Baum in ihrem Buch „Stillleben“ aufgeschrieben. „Hätte ich nicht gewollt, wäre ich damals im Krankenhaus mit Sicherheit vor einem Stilltribunal gelandet. Denn an meinem Krankenbett patrouillierte eine Art Armee, die immerfort ,Anlegen, Anlegen, Anlegen‘ skandierte“, heißt es da. Die Autorin meint: Ganz besonders in den ersten Tagen nach der Geburt, aber auch danach noch, dreht sich alles um das „Anlegen“ des Babys, das Stillen.

Dass Muttermilch die beste Ernährung für ein Neugeborenes ist, steht mittlerweile außer Frage. Sogar die Hersteller von Ersatzmilchpulver bauen diese Information inzwischen in ihre Werbung ein. „Muttermilch ist auf die Bedürfnisse des Kindes perfekt zugeschnitten“, sagt auch Ernährungswissenschaftlerin Mathilde Kersting. „Das Kind bekommt das, was es braucht, und darüber hinaus kann die Mutter das Kind vor bestimmten Krankheiten schützen.“ Außerdem seien gestillte Kinder seltener übergewichtig, sagt Kersting. „Und Stillen ist praktisch und kostet nichts.“

Der Druck, dem sich Frauen ausgesetzt sehen, die nicht stillen, ist immens. Dabei ist es egal, ob sie es aus körperlichen Gründen schlicht nicht tun können oder ihre Entscheidung andere Gründe hat. Von einer „nicht verhandelbaren Stillforderung“ schreibt Autorin Baum in ihrem Buch. Auch sie habe diese Forderung erfüllen wollen. „Weil ich richtig sein wollte, wie eine richtige Mutter aus dem Internet. Eine Mutter, die für ihr Kind alles tut und nichts unversucht lässt. Dieser Imperativ spielte eine Rolle.“

Auch Online-Foren und Blogs sind voller Kritik und Beschimpfungen gegen Mütter, die nicht stillen. Viele von ihnen rechtfertigen sich darin. Antonia Baum kennt solche Vorbehalte. In ihrem Buch beschreibt sie sie so: „Was wäre mit jener akademischen Mittelstandsmutter los, wenn sie nicht stillen wollte? Ist ihr das Kind nicht wichtig? Stimmt etwas nicht mit ihr? Ist sie egoistisch, kalt? Ist sie verrückt?“

Die Stillrate steigt seit den Neunzigern

Wissenschaftlerin Mathilde Kersting leitet das Forschungsdepartment Kinderernährung an der Bochumer Ruhr-Universität. Für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung arbeitet sie gerade an einer Studie über das Stillverhalten deutscher Mütter. Etwa 1000 Frauen und rund 100 Geburtskliniken sind daran beteiligt. „Es geht vor allem darum herauszufinden, warum Frauen, die stillen wollen, nicht am Ball bleiben“, sagt Kersting. Die Forscher begleiten die Entwicklung der Frauen und ihrer neugeborenen Babys im ersten Lebensjahr. Ein neuer Ansatz: In den meisten vorherigen Studien zum Thema befragten die Wissenschaftler die Mütter erst im Nachhinein rückblickend.

Eine im August veröffentlichte Studie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS-Studie) hat ergeben: Direkt nach der Geburt werden in Deutschland 87 Prozent der Babys gestillt. Die Stillrate ist somit seit den Neunzigerjahren kontinuierlich gestiegen – sie liegt aber beispielsweise noch deutlich unter der von Schweden, wo mit 98 Prozent fast alle Babys anfangs gestillt werden.

Ein viel größeres Problem als die Stillrate sehen die Autoren der KiGGS-Studie in etwas anderem: Im Schnitt werden Kinder in Deutschland weniger als vier Monate ausschließlich gestillt – obwohl fast 90 Prozent der Mütter ursprünglich vorhatten, ihren Kindern länger die Brust zu geben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt in den ersten sechs Monaten ausschließliches Stillen ohne zusätzliche Ersatzmilch oder Flüssigkeit.

Warum sie früher als geplant mit dem Stillen ihres Kindes aufhörten, dafür hatten die meisten Mütter in der KiGGs-Studie zwei Begründungen: Entweder sei zu wenig Muttermilch produziert worden – oder das Kind wollte nicht mehr. Die Forscher schlussfolgern daraus, „dass mehr Förderung notwendig ist, um Mütter mit Stillproblemen, die beabsichtigt hatten, länger zu stillen, dabei zu unterstützen, die Stillprobleme zu überwinden und weiter zu stillen“.

„Fast jede Mutter kann stillen“, sagt auch Ernährungswissenschaftlerin Kersting. Nur in ganz wenigen Fällen sprächen tatsächlich körperliche Gründe dagegen. Mütter, die sich dagegen entscheiden, deshalb unter Druck zu setzen, das sei aber kontraproduktiv. „Auch Müttern, die nicht stillen, steht eine gute, einfühlsame Beratung zu.“

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