Thursday, 18th April 2024
18 April 2024

Die Sucht nach Sex ist verbreiteter als gedacht

„Ist Ihr Sexualtrieb außer Kontrolle? Kompensieren Sie Probleme mit Sex?“ Diese und weitere Fragen haben Forscher in den USA Studienteilnehmern gestellt. Fazit: Es sind mehr Menschen betroffen als bislang vermutet. 0

Deutlich mehr Menschen als bislang angenommen leiden darunter, dass sie ihr sexuelles Verlangen und Verhalten nur unzureichend kontrollieren können. Das berichten Forscher zumindest für die USA im Fachblatt „JAMA Network Open“. Unter den Betroffenen seien wesentlich mehr Frauen als gedacht, zeigt die Studie mit mehr als 2300 Menschen.

Fachleute sollten sich der hohen Zahl der Betroffenen bewusst sein und das Problem sorgfältig ergründen, um Behandlungsmöglichkeiten für Männer und Frauen zu finden. Diese Meinung teilt auch der deutsche Psychiater und Sexualmediziner Tillmann Krüger von der Medizinischen Hochschule Hannover. Was die Zahlen zur Häufigkeit anbelangt, müsse man jedoch vorsichtig sein, sagt er.

Menschen, die an der der Krankheit leiden, haben einen extrem ausgeprägten Sexualtrieb. Die Gier nach Sex bestimmt ihren Alltag, denn sie sind permanent auf der Suche nach Befriedigung ihres sexuellen Triebes. Schaffen sie das nicht, spüren sie eine innere Leere, Unzufriedenheit, Nervosität, verfallen in Depressionen oder werden aggressiv.

Über „Sexsucht“ wird in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert, oft in Zusammenhang mit – angeblichem – sexuellem Fehlverhalten von Prominenten. Der US-amerikanische Schauspieler David Duchovny („Akte X“) begab sich 2008 wegen seiner Sexsucht in Therapie. Im Februar 2010 erklärte der US-amerikanische Golfer Tiger Woods, sexsüchtig zu sein. Er hatte seine Ehefrau mit mindestens 14 Frauen betrogen. Und Harvey Weinstein schob die sexuellen Missbrauchs- und Belästigungsvorwürfe gegen ihn ebenfalls auf seine Sexsucht und checkte Ende 2017 in eine Entzugsklinik ein.

Ob es die Sucht nach Sex aber überhaupt gibt und wie groß das Ausmaß ist – das ist unter Wissenschaftlern umstritten. Die Fachbezeichnung ist „Compulsive sexual behaviour disorder“, sozusagen eine zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung. Im Sommer dieses Jahres hatten sich Experten darauf geeinigt, sie als psychische Störung anzuerkennen und in den internationalen Diagnoseschlüssel für Krankheiten aufzunehmen (ICD-11), der ab 2022 gelten soll. Damit können Ärzte eine entsprechende Diagnose stellen und eine Behandlung abrechnen.

Um eine bessere Kenntnis des Problems zu erlangen, werteten die Forscher um Janna Dickenson von der University of Minnesota in Minneapolis Fragebögen von insgesamt 2325 Männern und Frauen zwischen 18 und 50 Jahren aus.

Den Studienteilnehmern wurden unter anderem folgende Fragen gestellt: „Wie oft haben Sie Probleme damit, ihren Sexualtrieb zu kontrollieren? Wie oft haben Sie Sex, um von Problemen abzulenken? Wie oft fühlen Sie sich schuldig oder schämen sich für Ihr sexuelles Verhalten? Wie oft verstecken oder vertuschen Sie Ihr Sexleben vor anderen? Wie oft benutzen Sie Ausreden oder Lügen, um Ihr sexuelles Verhalten zu rechtfertigen? Wie oft führten Ihre sexuellen Aktivitäten schon zu finanziellen Problemen? Wie oft fühlen Sie sich emotional distanziert, während Sie Sex haben? Wie oft haben Sie Sex oder befriedigen sich selbst, obwohl Sie eigentlich nicht wollen?“

Mehr Menschen betroffen als gedacht

Die Auswertung ergab, dass insgesamt 8,6 Prozent der Teilnehmer diesen Wert erreichten. Bisher waren Experten von einer Häufigkeit zwischen einem und sechs Prozent ausgegangen. Die Auswertung zeigte weiter, dass gut zehn Prozent der Männer und sieben Prozent der Frauen unglücklich im Bezug auf die Kontrolle des Sexualverhaltens sind. Die Geschlechtsunterschiede seien deutlich kleiner als bislang angenommen, schreiben die Forscher.

Eine Erklärung sei, dass sich etwa infolge der kulturellen Entwicklung und der gestiegenen sexuellen Selbstbestimmung der Frauen der Anteil von Frauen mit einer gestörten Impulskontrolle erhöht habe. Denkbar sei aber auch, dass das Problem in der Vergangenheit einfach übersehen wurde, weil eventuelle Auffälligkeiten bei Frauen anderen klinischen Beschwerden zugerechnet wurden, etwa einer bipolaren oder einer Borderline-Störung.

Die Wissenschaftler stellten weiter fest, dass Menschen mit geringerem Bildungsgrad, besonders schlecht oder besonders gut verdienende Menschen sowie ethnische und sexuelle Minderheiten häufiger von Problemen berichten. Das lege nahe, dass der soziokulturelle Kontext in dem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spiele. Die hohe Zahl der Betroffenen deute auf eine erhebliche klinische Bedeutung des Problems hin, das im Gesundheitssystem Beachtung finden müsse.

Häufigkeit von Hypersexualität in Deutschland

Auch die Hypersexualiät wird manchmal als Sexsucht bezeichnet. Darunter versteht man in der klinischen Psychologie das gesteigerte sexuelle Verlangen, beziehungsweise ein sexuell motiviertes Handeln. Dafür gibt es drei typische Symptome: Die Personen befriedigen sich häufig selbst, konsumieren bis zu mehrere Stunden am Tag Pornografie und wechseln häufig ihre Partner.

„Es gibt derzeit auch für Deutschland keine verlässlichen Zahlen zur Häufigkeit von Hypersexualität in der Bevölkerung“, sagt Tillmann Krüger. Die recht hohe Häufigkeit, die die US-Forscher gefunden haben, müsse man mit Vorsicht betrachten. „Die Analysen der Wissenschaftler beruhen auf Fragebögen, mit denen sich eine gewisse Symptomstärke gut messen lässt. Für eine sichere Diagnose müsste sich aber eine Untersuchung anschließen.“

Dennoch gebe die Studie wichtige Hinweise und zeige, dass das Thema eine erhebliche Relevanz habe. „Für die Betroffenen geht damit ein echter Leidensdruck einher“, erläutert Krüger, der eine Sprechstunde zum Thema Sexsucht anbietet. „Das nimmt unheimlich viel Zeit in Anspruch, die Betroffenen sind etwa stundenlang im Internet oder besuchen entsprechende Etablissements.“ Das könne zu familiären Problemen führen. Oft fällt es Sexsüchtigen schwer, monogame und treue Beziehungen zu führen. Stattdessen haben sie häufig wechselnde Sexpartner oder gehen fremd. Häufig sorgten sich die Betroffenen aber auch, weil sie zum Beispiel auch am Arbeitsplatz nicht von ihren Gedanken loskämen.

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